Ich muss jetzt doch noch mal kurz nachfragen: Wenn man etwas auf die Internetseite einer Zeitung stellt und es nicht explizit mit dem Wort „Anzeige“ als solche kennzeichnet, dann ist das doch redaktioneller Inhalt, oder man nimmt ihn zumindest als solchen wahr, richtig? Und das gilt nicht nur für Texte, sondern auch für Fotos, Bilderstrecken und Videos, oder?
Gut, dann bin ich ja beruhigt. Oder eben nicht. Wenn Sie kurz schauen mögen:
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„Für den Pariser Autosalon hatte Toyota ein ganzes Paket toller Neuheiten geschnürt. (…) Der Verso-S lieferte mit seiner Premiere in Paris den ersten Ausblick auf das kompakte Raumwunder. Mit einer Länge von 3 Metern 99 empfiehlt sich der Verso besonders für den Stadtverkehr.“ So beginnt dieser Beitrag, und auch wenn man vom Auto-Journalismus ja so einiges gewöhnt ist; das klingt dann doch nur wie eins: Werbung.
Sieht aus wie Werbung, klingt wie Werbung, heißt nur nicht so. Zumindest nicht bei der Stuttgarter Zeitung oder der Märkischen Allgemeinen, und auch nicht bei der Braunschweiger Zeitung oder den Dresdner Neuesten Nachrichten. Womit wahllos vier Regionalzeitung genannt wären, die mir und Google spontan eingefallen sind. Und die alle zwischen Promi-News und wackeligen Homevideos aus der Region dieses und weitere Filmchen aus dem Hause Car-news.tv in ihre Mediathek gestellt haben. Für besonders Interessierte auch immer noch kompakt unter dem Stichwort „Auto“ bzw. „Motor“ abrufbar.
„Als ein unabhängiger Partner der Automobilindustrie ist Car-News.TV Ltd. & Co. KG in der Lage seine Videos kostenlos und rechtefrei anzubieten“, heißt es auf deren Internetseite. Wie unabhängig man so als Partner der Automobilindustrie sein kann, der kostenlos „Video-Rohmaterial inklusive redaktionell aufbereiteten Texten und kostenlosen Bildern“ anbietet, kann sich jeder selbst überlegen. Dazu empfehle ich ich auch einfach noch mal kurz in den Film oben reinzuschauen und das kompakte Raumwunder mit seiner besonderen Eignung für den Stadtverkehr auf sich wirken zu lassen.
Das ist aber gar nicht das Problem, anbieten kann man das ja einfach mal. Grenzwertig wird es aber, wenn Zeitungen dieses Angebot auch annehmen. Vermutlich mit dem simplen Hintergedanken, dass man heute multimedial zu sein hat und demnach Videos anbieten muss, aber eigentlich weder Zeit, Lust noch Geld hat, selbst welche zu produzieren. Oder sie in angemessen journalistisch aufbereiteter Form einzukaufen.
Einfacher kann man es der finanziell gut aufgestellten PR-Maschinerie hinter der Automobilindustrie wirklich nicht machen. Über einen „unabhängigen Partner“ stellt man den Zeitungen für ihre Online-Präsenz ein paar Hochglanzvideos zur Verfügung; in den Redaktionen denkt man sich, dass der Ruf des Auto-Journalismus eh schon ruiniert ist, und so bauen die Verlage mit den Händen nach außen hin eine schöne glitzernde Multimedia-Fassade auf, und reißen zeitgleich mit dem Arsch das um, was einst der Kern des Journalismus war: Wir nennen es Glaubwürdigkeit.
Wahrscheinlich ist es äußerst naiv von mir, sich überhaupt über so etwas aufzuregen. Aber die frisch abgewrackte Automobilindustrie hat wirklich ausreichend Kohle; warum zur Hölle kann sie nicht einfach Anzeigen schalten, viele, großformatige, über die man „Anzeige“ schreibt und mit der man Redakteure und Autoren bezahlen und damit Journalismus ermöglichen kann? Warum müssen Zeitungen statt dessen deren Werbefilmchen ungekennzeichnet als redaktionelle Arbeit verkaufen? Und warum arbeitet eigentlich Loriot als Texter für diese Mischpoke?
Nein, ich bin nicht zufrieden. Und, wen’s interessiert: Ich habe gar kein Auto.
5. Oktober 2010
Gerade im Zusammenhang mit Autos ist eine Trennung zwischen redaktioneller Leistung und Werbung kaum noch sinnvoll: Die Texter schreiben, was die Hersteller wünschen und bekommen dafür kostenloses Material und reichlich Gelegenheit, neue Modelle probezufahren. Entsprechend gehen die Artikel an meinen Bedürfnissen vorbei, es wird gar nicht gefragt, ob ich wirklich Klimaanlage, Soundsystem oder elektrisch verstellbare Außenspiegel benötige (NEIN!!!) oder auch nur auf die „Anmutung“ der verarbeiteten Materialien Wert lege. Kaum ein Modell wird ohne den Hinweis besprochen, dass die Basisversion zwar „ausreichend motorisiert“ sei, der eigentliche „Fahrspaß“ sich aber erst mit der größeren Motorenvariante einstelle. Bei teuren Modellen wird gerne erwähnt, dass der Testfahrer an der Tankstelle „bewundernde Blicke“ registriert habe, das Preis-Leistungs-Verhältnis sebst ist aber tabu. Wenn es gar nicht anders geht, stellt „Bild“ eben eine Liste der Autos auf, in denen man am wenigsten gut Sex haben kann. Spitzenreiter war dabei kein Kleinwagen und auch kein Sportwagen, sondern ausgerechnet der Toyota Prius…
5. Oktober 2010
Alle Beteiligten schneiden sich mit dieser Art des „Motorjournalismus“ letztendlich ins eigene Fleisch. Da spielt es auch kaum eine Rolle, ob solche Bilder, Texte, Videos von den Redaktionen selbst produziert oder von Dritten angeliefert werden – das Ergebnis ist qualitativ und vom Jubelfaktor her meist kaum zu unterscheiden.
Wer sich mal genauer in dieses System hineinlesen möchte: http://fastvoice.net/2009/06/28/wer-gut-schmiert-der-gut-fahrt/
12. Dezember 2010
[…] Ich empfehle die regelmäßige Lektüre von Bildblog. Zur Belustigung hier ein paar Links: (4), (5), (6), […]